Folgt das Leben der gleichen Dramaturgie wie eine fiktionale Geschichte?
Zur umgekehrten Frage »Taugt das Leben als Vorlage für eine Romanhandlung?« gibt es tausende von Antworten in Büchern und im Internet.
Aber wie steht es um die Eingangsfrage? Ich jedenfalls habe noch keine Antwort dazu gefunden, deshalb muss ich heute diesen Blopgpost schreiben. Ja, ich als Nichtexpertin fürs fiktionale Schreiben stehe unter Zugzwang, auf die Frage zu antworten, denn das Thema beschäftigt mich seit der 5. Klasse. Da ich die vor über 50 Jahren besucht habe, ist es nun wirklich höchste Zeit, mir eine Antwort zu geben.
Ich war immer eine einigermaßen gute Schülerin, also auch in Deutsch. Aber einen Schulaufsatz über ein reales Erlebnis erhielt ich als ca. 10-Jährige zurück mit der Anmerkung, dass der Spannungsbogen nicht stimme. Note: befriedigend. Eigentlich nicht schlecht, aber schlecht für mein damaliges Ich. Dagegen erhielt meine beste Freundin Angelika die Note eins für Ihren Aufsatz über eine spannende Geschichte um ihr Meerschweinchen, als stolze Klassenbeste durfte sie ihre Geschichte der ganzen Klasse vorlesen. Aus diesem Erlebnis habe ich mitgenommen und Jahrzehnte lang mit mir herumgetragen, dass das Leben nicht zum Roman taugt. Mein Erleben war nicht das, was jemand anders interessierte.
Heute weiß ich endlich, dass die Sache komplizierter ist und die eigentliche Lehre anders lautet. Nämlich: Cat Content zieht immer. Daraus ergibt sich folgerichtig meine wichtigste
Lektion 1: Wenn du keine Katze retten kannst, schreib über ein Meerschweinchen.
Ja, ich habe mich mit dem »Save the cat«-Universum beschäftigt. Alles klar, ich bin völlig einverstanden, dass sympathische Held*innen besser ankommen, im echten Leben ebenso wie in der Welt fiktionaler Erzählungen. Nachvollziehbar auch, dass bestimmte Erzählmuster besonders gut wirken: Eine gute Geschichte braucht ein gutes Drehbuch.
Lektion 2: Wir sind alle ein bisschen Odysseus.
Jahre bevor Blake Snyder das Save-the-Cat-Prinzip vorstellte und nach und nach ausbaute, veröffentlichte Christopher Vogler »Die Odyssee des Drehbuchschreibers«. Die Idee dahinter ist, dass allen großen Erzählungen eine Heldenreise gemeinsam ist. Das bedeutet nicht, dass die Protagonistin eines Romans wie Odysseus nach dem Trojanischen Krieg umherirren soll. Aber sowohl Snyder als auch Vogler identifizieren bestimmte strukturelle Merkmale, die gutes Erzählen ausmachen. Storytelling heißt das Zauberwort, das längst auch in Marketing und Werbung Karriere gemacht hat.
Ich dringe mit jeder Lektion weiter ins Herz der Geschichten vor. Aber wo bleibt das Leben?
Lektion 3: Wenn die Götter lachen und weinen, ist alles gut.
Okay, diese These ist gewagt und kommt aus heiterem Himmel, aber ich brauche sie, um den Bogen von den alten Mythen und Dramen zurück zum Leben und seinen Geschichten zu finden. Fürs Erste reicht es, ein paar griechische Sagen zu lesen. Und das eine oder andere Drama von Shakespeare natürlich. Einer meiner Favoriten ist »Macbeth«. Ich liebe die drei Hexen darin.
Lektion 4: Alles kräftig durchrühren.
Mythen, Sagen, Heldenreisen und Storytelling, Odysseus und Shakespeare – alles schön und gut, alles schon mal da gewesen. Was jetzt, warum überhaupt noch schreiben?
Die Antwort darauf ist einfach: Es ist schon alles geschrieben worden, aber noch nicht von jeder und jedem. Neue Leser*innen wollen neue Geschichten und es ist ihnen egal, wenn diese alten Mustern folgen. Und wieso sollen die alten Muster kräftig gerührt werden? Auch das liegt auf der Hand. Viele Köche verderben den Brei, sagt das Sprichwort. Viele Zutaten machen die Geschichte besser, vermute ich.
Locker und leicht sollte es weitergehen mit meinen Blog-Lektionen. Das Leben hat eigene Pläne. Während ich am Entwurf zu diesem Blogpost feile, eskaliert ein sehr realer Krieg. Er bedroht mich nicht unmittelbar, aber er verstärkt das Gefühl, dass mein Leben seit Monaten nach dem Muster verläuft: »Schlimmer kann es nicht mehr kommen. Dann kommt es schlimmer.« Ja, das ist Jammern auf hohem Niveau. Und doch frage ich mich ständig: Wann kommt der Wendepunkt, den es in jeder guten Geschichte gibt. Der Punkt, an dem die Protagonist*innen ihren Tiefpunkt erreicht und scheinbar alles verloren haben, an dem sich aber bereits alles zum Besseren wendet. Der Punkt scheinbar tiefster Dunkelheit, an dem die Funken neuer Hoffnung erwachen.
Und da steh ich nun, ich arme Törin, und bin so ratlos wie zuvor.
Lektion 5
... kann ich noch nicht schreiben, erkenn ich. Die Eingangsfrage »Folgt das Leben der gleichen Dramaturgie wie eine fiktionale Geschichte?« kann nicht ich beantworten. Also nein. Genau das ist die Lektion.
Wo bleibt die Leichtigkeit des Schreibens? Zurück zu Lektion 1.
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